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Pink Floyd

Text von: Achim Helge Winkelmeier

„The Final Cut – We should have called it The Final Straw” – David Gilmour (The Guardian, 2002). Die Frage bleibt: Hat nicht auch der letzte Strohhalm seine Meriten?

Geht es Ihnen manchmal genauso? Da hat man ein Album monate- oder sogar jahrelang nicht mehr gehört, weil die Musik in der eigenen Wertschätzung nur irgendwo zwischen mittelprächtig und sperrig-schwierig pendelt, mit überwiegender Tendenz zu Letzterem. So weit, so unspektakulär; doch eines Tages führt plötzlich kein Weg mehr daran vorbei, dass sie erneut auf dem Plattenteller oder im CD-Player landet. Am besten sofort. Klar, logisch, denn der Sound war ja über weite Strecken geradezu referenzverdächtig. Und wenn das mal für einen Audiophilen kein handfester Grund ist … Innerhalb weniger Augenblicke steht fest: Es gibt nichts, was in der nächsten Dreiviertelstunde wichtiger sein könnte. Man muss schließlich Prioritäten setzen, oder etwa nicht? Das Abendessen? Kann warten. Anrufe? Landen auf der Mailbox. Dortmund gegen Gladbach in der Sportschau? Kommt später auch noch im Aktuellen Sportstudio. Wahrscheinlich haben Sie es bereits geahnt: Pink Floyds letztes Werk mit Roger Waters steht in meiner imaginären Liste der Großveröffentlichungen, zu denen ich ein reichlich ambivalentes Verhältnis habe, auf einem der obersten Plätze.

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The Final Cut nimmt in Internet-Rankings der beliebtesten Pink-Floyd-Alben für gewöhnlich keine Spitzenposition ein. Dazu kommt, dass über drei Jahrzehnte nach dem Erscheinen die Diskussionen, ob es sich überhaupt um ein „echtes“ Bandalbum oder vielmehr um ein Soloprojekt von Waters handelt, immer noch nicht abgeschlossen sind. Der Untertitel „A Requiem for the Post War Dream by Roger Waters“ auf der Coverrückseite spricht eigentlich für Letzteres und spiegelt auch seine in späteren Interviews geäußerte Sichtweise der Dinge wider. Das (zumindest) potenzielle Gegenargument, dass die LP (und CD) damals ja noch unter dem Bandnamen erschien, besitzt aber auch ein gewisses Maß an Plausibilität. Zudem weisen einige Titel unüberhörbar die typische Gitarrenarbeit von David Gilmour auf. Fakt ist jedoch, dass es keine genuinen kompositorischen Beiträge von ihm gibt, sein Leadgesang bei gerade mal einem Stück („Not Now John“) zu hören ist und Richard Wright bei den Aufnahmen gar nicht mehr mitwirkte. Das Fehlen seiner für Pink Floyd anteilig stilprägenden, charakteristischen Keyboardsounds macht sich auf seine Weise ähnlich deutlich bemerkbar wie Gilmours stark reduzierter Input. Selbstredend sind auf The Final Cut auch Tasteninstrumente vertreten, aber eben ohne das unverkennbare Tonkolorit von Wright, das für den Bandsound seit jeher essenziell wichtig war. Aus den genannten Gründen tragen fast alle Titel umso deutlicher nicht bloß Waters‘ textliche, sondern ebenso seine musikalische Handschrift. David Gilmour und Nick Mason kamen streng genommen nur noch zweitrangige Rollen als Session-Musiker zu. Die Behauptung sei gestattet, dass The Final Cut im Unterschied zu früheren Pink-Floyd-Klassikern auch wegen seines eher kantigen und wenig eingängigen Habitus’ unfreiwillig eine gewisse Textlastigkeit aufweist. Derartiges muss nicht per se nachteilig sein, aber Waters‘ zumindest implizit anklagender, pessimistischer Lyrismus mit den immer wiederkehrenden Motiven Krieg, Verlust und daraus resultierenden Traumata sorgt in noch größerem Umfang als die Musik dafür, dass sich das Album wirklich nicht dazu eignet, die Stimmung auf schwergängigen Feten anzuheizen oder libidinös bedingte Gefühlslagen im Rahmen intimer Zweisamkeit zu intensivieren.

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Waters‘ und Gilmours Verhältnis war seinerzeit bekanntlich von starken, nicht nur atmosphärischen Störungen geprägt. Natürlich ging es dabei vor allem um differierende musikalische Vorstellungen. Nach dem Mega-Erfolg von The Wall gab es zunächst Pläne, Outtakes aus den Sessions mit eigens für den Film-Soundtrack neu eingespielten Liedern als „Spare Bricks“ zu veröffentlichen. Der Titel dieser geplanten Ergänzung wurde später in The Final Cut geändert. Durch den Falkland-Krieg kam es darüber hinaus zu einer kleineren inhaltlich-thematischen Kurskorrektur, deren Ergebnisse sich hervorragend mit Waters‘ Misanthropismus vertrugen, der sich bereits auf Animals unüberhörbar breitgemacht hatte. Das Resultat mit anderen Worten: Die unter der politischen Federführung von Margaret Thatcher erfolgte militärische Reaktion Großbritanniens auf die Besetzung einer winzigen Kolonie am anderen Ende der Welt bildete 1982 den disharmonischen Schlussakkord, der den einstigen optimistischen Nachkriegstraum in Waters Augen nach gut dreieinhalb Jahrzehnten endgültig beendete. Folge für Pink Floyd: Aus einer Reihe von Ersatzziegelsteinen wurde zwar tatsächlich ein letzter Schnitt, aber – und das ist das Entscheidende – nicht mehr lediglich als „Mauer-Erweiterung“, sondern in Form eines neuen Konzeptalbums der Band mit den oben skizzierten Inhalten, wie sie Waters vorschwebten. Die Spannungen innerhalb der Gruppe vertieften sich dadurch zusätzlich. Gilmours Kritik an Waters‘ Vorhaben beinhaltete in erster Linie, dass die Themen für ein neues Bandalbum zu politisch und zu persönlich seien und nun plötzlich Stücke, die nicht gut genug für The Wall gewesen waren, gut genug für das nächste Magnum Opus von Pink Floyd sein sollten. In der Tat zeigen manche Titel wie „Get Your Filthy Hands Off My Desert“ oder „The Fletcher Memorial Home“ mit seiner rockopernhaften Theatralik im Walzertakt während der ersten beiden Strophen beinahe schon überdeutlich ihren musikalischen Ursprung aus „The Wall“-Zeiten.

Letzteres trifft auch auf die Single „When The Tigers Broke Free“ (in der BRD: EMI / Harvest 1C 006-64875, Copyright-Vermerk 1979) zu, die im Juli 1982 erschien. Das Lied ist im The Wall-Film zu hören und trägt auf dem rückwärtigen Cover den Zusatz „Taken from the Album The Final Cut“ (!). Doch erst 2001 tauchte es – man glaubt es kaum – eher unvermittelt und zusammen mit „The Fletcher Memorial Home“ auf Echoes auf, der Box, die als Sampler immerhin den Anspruch erhebt, „The Best Of Pink Floyd“ zu enthalten. Seit 2004 ist es (in leicht abgewandelter Form) auf Waters‘ Bestreben hin auch auf der The Final Cut-CD zwischen „One Of The Few“ und „The Hero’s Return“ zu finden. Ich frage mich in beiden Fällen: Warum um alles in der Welt ist das so, und weshalb wurde dieses – ich kann es schwerlich anders formulieren – in musikalischer Hinsicht miserable Stück sogar noch als 7“ herausgebracht? Der Text beschreibt die Umstände, unter denen Roger Waters‘ Vater im Zweiten Weltkrieg in Italien ums Leben kam. Es bedarf schon eines arg überdimensionierten Egos, um dann womöglich noch an den kommerziellen Erfolg eines solchen Totalausfalls, bei dem nahezu nichts mehr an Pink Floyd erinnert, zu glauben. So etwas sollte die Charts aufmischen? Oder ging es Waters vielleicht „nur“ um die Aufarbeitung seiner eigenen frühkindlichen Vergangenheit? Freilich wäre das vollkommen legitim, aber sollte dies tatsächlich der Fall gewesen sein, war der gewählte Rahmen für meine Begriffe denkbar ungeeignet. John Lennon hat Ende 1970 mit John Lennon / Plastic Ono Band auf brillante Weise gezeigt, wie man Derartiges als weltweit populärer Rockstar bewerkstelligt – ohne jegliche kompositorischen Schwachpunkte und egozentrische Peinlichkeiten. Dass Waters nach wie vor großen Wert darauf legt, die Öffentlichkeit an seinem Umgang mit dem sieben Jahrzehnte zurückliegenden Tod seines Vaters teilhaben zu lassen, lässt sich detailliert auf www.youtube.com verfolgen. Bitte sehen Sie mir in diesem Zusammenhang eine kleine Unfreundlichkeit nach: Danke Roger, dass wir das alles noch erleben dürfen. Und hier etwas richtig Dreistes, diesmal aber von Waters selbst: Bekanntermaßen ist es nicht ­gerade die feine Art, im Musikbusiness bei anderen Interpreten abzukupfern, das heißt: ohne auf einem kommerziell verfügbaren Tonträger den tatsächlichen Schöpfer der Musik eines als Eigenkomposition ausgegebenen Stücks zu nennen. Nichts anderes geschah beim The Final Cut-Opener „The Post War Dream“.

Dessen Strophenteil ist unüberhörbar ein stellenweise notengetreues Plagiat von John Prines 1971er Anti-Kriegs-Song „Sam Stone“, in dem ein Vietnam-Veteran nicht mehr mit seinem Leben zurechtkommt und an Heroin zugrunde geht. Anti-Kriegs-… War da nicht was? Sogar die für Pink Floyd eher untypische Tonart F-Dur wurde vom Original übernommen. Ganz schön heftig – und ein mittleres Wunder, dass es scheinbar nie zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung wegen dieser Sache kam, zumal John Prine noch lebt und aktiv ist. Es gibt weniger eindeutige Fälle, die die Justiz beschäftigt und für hohen medialen Wellengang gesorgt haben.

Bestenfalls eine gekräuselte Wasseroberfläche in manchen Hitparaden rief die Auskopplung „Not Now John“ hervor, die im Mai 1983 nicht nur als 7“, sondern sogar als Maxi-Single (hierzulande in Gestalt einer holländischen Pressung, EMI 1A K062Z-65133) erschien. Pink Floyd sind ja nicht eben bekannt für diese Spezies von Tonträgern. Das Interessante hierbei: Sie enthält neben der unzensierten Albumversion mit dem mehrfachen „Fuck all that“ im Text eine entschärfte radio- und familienfreundlichere Fassung, bei der es an den entsprechenden Stellen stattdessen „Stop all that“ heißt (auf englischsprachigen Internet-Seiten steht häufiger „Stuff all that“). Gleichsam folgerichtig wird das Stück dann gerade noch rechtzeitig vor Roger Waters‘ geschrienem „Oi! Where’s the fucking bar, John?“ ausgeblendet. Auf der A-Seite ist ferner eine längere Version von „The Hero’s Return“ mit einem „Part II“ zu hören. Gehört diese 12“ deshalb zu den Must-haves der Gruppe? Nein, längst nicht zwingend, es sei denn, man visiert als eingefleischter Sammler eine Vervollständigung seiner heimischen Pink-Floyd-Bestände an. Noch eine kurze Anmerkung zum Thema Zensur: Ich finde es nahezu verwunderlich, dass auf dem Cover der australischen The Final Cut-LP (CBS SBP 237817) wegen des „Fuck all that“ bei „Not Now John“ lediglich ein Aufkleber mit dem Hinweis „This album includes lyric content which may be offensive to some members oft he public“ prangte und nicht gleich die richtige Schere angesetzt wurde. Nur ein Beispiel dafür, dass es auch hätte anders kommen können: Bei John Lennons „Working Class Hero“ auf John Lennon / Plastic Ono Band (EMI/Apple PCSO 7124) war man in Down Under weniger zimperlich gewesen und hatte einfach das Wort „fucking“ entfernt. Nicht übertönt, sondern wirklich herausgeschnitten. Kein Witz! Auch eine Art von Final Cut, wenn man so will.

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Der The Wall-Nachfolger ist in noch größerem Maße als Animals ein Album, das bei der Veröffentlichung keine universelle Zustimmung erntete. Daran hat sich bis heute kaum etwas geändert. Ich spreche das an, weil es immer wieder Fälle von Werken bekannter Interpreten gibt, die sich im Laufe der Zeit nach überwiegender anfänglicher Geringschätzung auf der populärmusikalischen Beliebtheitsskala steil nach oben bewegen. Paul McCartneys Ram zählt zu den signifikantesten Beispielen (siehe image hifi 5/2012). Unter kommerziellen Aspekten war The Final Cut natürlich ein satter Erfolg. Doch auch in den Printmedien gab es zahlreiche Stimmen, die die LP von Beginn an als schwach und dürftig kritisierten. Der „Melody Maker“ sprach gar von „a milestone in the history of awfulness“. Eine der wenigen Ausnahmen war Kurt Loders äußerst wohlwollende Rezension im „Rolling Stone“. Loder, der ja bekanntermaßen nicht irgendwer ist, sondern zu den profiliertesten amerikanischen Köpfen der Gilde gehört, die (unter anderem) über Musik schreibt, vergab die Höchstwertung von 5 Sternen und löste damit vermutlich nicht bloß bei weiten Teilen der Käuferschaft des Magazins ein gewisses Erstaunen aus. Seine ungeachtet dessen immer noch lesenswerte Besprechung findet sich unter www.rollingstone.com.

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Weit weniger verbreitet als die LP und CD ist die Video-EP von The Final Cut, eine 19 Minuten kurze Kassette (CMVG 5015, in der Bundesrepublik ausschließlich im VHS-Format) mit einem einteiligen Clip zu „The Gunner’s Dream“, The Final Cut, „Not Now John“ und „The Fletcher Memorial Home“. Er ist durchaus sehenswert und hat, bei aller inhaltlichen Schwere, unverkennbaren Pink-Floyd-Touch. Alltagsepisoden aus dem bürgerlichen Leben des Protagonisten, eines Weltkriegsveterans, wechseln sich ab mit bisweilen surrealistisch anmutenden Szenarien als Ausdruck seiner beschädigten Identität, die sich primär in wiederkehrender Vermischung von Realität und ­Illusion sowie in Gewaltanwendung als Reaktionsmodus auf antizipierte Kriegstreiber zeigt. Unvermittelt dazwischen: Roger Waters als synchronisierter Mime, der bei The Final Cut einem Psychiater gegenübersitzt. Verschiedene Darstellungen des Videos konnten mich manchen Textinhalt des Albums besser nachvollziehen lassen. Warum in dem Film allerdings neben Margaret Thatcher, Leopoldo Galtieri, Napoleon und Adolf Hitler auch Winston Churchill im „The Fletcher Memorial Home“ ein durchgeknalltes Dasein fris­tet, hat sich mir nach wie vor nicht wirklich erschlossen. Überhaupt erscheint mir die Auswahl der Charaktere zu heterogen und erinnert mich an schlecht recherchierte Projektarbeiten aus der Hauptschule. Hochgradig bedenklich finde ich den im Liedtext gebrauchten Terminus „Final Solution“, die angewendet werden soll, um außer Thatcher eine Reihe anderer Politiker, die im Video nicht erscheinen, ins Jenseits zu befördern. Ursprung und Bedeutung des Begriffs „Endlösung“ sind allgemein bekannt. Als schlechte Entschuldigung ließe sich eventuell noch argumentieren, dass es ja der Protagonist des Films ist, dem das Wort in den Mund gelegt wird. Ich sehe das dennoch anders.

Von Pink Floyd erwartet man grundsätzlich Gigantisches, Herausragendes. Die visuellen Bestandteile von Konzerten (nicht nur früher, sondern bis in die Gegenwart auch bei Gilmour und Waters), die Aufmachung von Veröffentlichungen, die Musik selbst sowieso; außerdem natürlich der Klang der Tonträger. Manche Quellen behaupten, dass die Ende März 1983 erschienene “The Final Cut“ das am besten klingende Pink-Floyd-Werk überhaupt sei. Darüber kann man diskutieren. Ich teile diese Meinung mit gewissen Einschränkungen und würde es deshalb so ausdrücken: Das Album zählt auf jeden Fall zu den sonischen Highlights der Band, weist aber ein paar diesbezügliche Auffälligkeiten auf. Damit meine ich insbesondere die bei den meisten Titeln untypisch knochentrockene und fast schon zu dumpfe Snaredrum von Nick Mason. Sie wurde, abgesehen etwa von „The Gunner’s Dream“, überdies beim Abmischen kaum mit Raumhall versehen und hört sich dadurch tendenziell ein wenig nach Proberaum an. Doch wir sind hier bei Pink Floyd, und das bedeutet in diesem Kontext schlicht, dass die Snaredrum anno 1983 genau so und nicht anders auf der LP klingen sollte. Eine positive Notiz zum Schlagzeug auf The Final Cut: Ich kenne nur sehr wenige andere Alben mit einem derart phantastischen Sound der Toms. Bereits The Wall glänzt mit einigen Stellen dieser Güte. Produktionstechnisch lässt sich das nicht mehr verbessern. Zwei weitere kleine Kritikpunkte noch: Die Hörner in „The Post War Dream“ hätten ein bisschen mehr „Blech“ zeigen dürfen und Roger Waters‘ Gesang, wenn’s dann richtig losgeht, einen Tick zusätzliche Höhen vertragen. Doch das sind die einzigen klanglichen Aspekte, an denen es für mein Empfinden etwas zu mäkeln gibt.

Eine besondere Erwähnung bedarf die große Anzahl der auf dem Album zu hörenden Effekte. Pink Floyd sind in dieser Disziplin bekanntlich Meister aller Klassen und haben Effekte wie keine zweite Gruppe als unabdingbare Elemente treffsicher in ihre Musik integriert. Das Ungewöhnliche bei The Final Cut: Die „außermusikalischen“ Zutaten wurden als sogenannte Holophonics mit einer Aufnahmetechnik eingespielt, die zusammen mit der ihr zugrunde liegenden Theorie eine nähere Betrachtung wert ist. Bei dem seit 1980 von Hugo Zuccarelli, einem argentinischen Erfinder mit elektrotechnischem Studium, propagierten Verfahren handelt es sich zwar eigentlich um nichts anderes als eine abgewandelte Form der Kunstkopf-Stereofonie, also die (behauptete) dreidimensionale Wiedergabe über Kopfhörer bei entsprechender Mikrofonierung der Aufnahme. Das vorgeblich Neue aber: Zuccarelli zufolge ist das menschliche Ohr nicht nur ein rein passives Organ, sondern es produziert eine Art Referenzsignal, das (erst) mit extern generierten akustischen Impulsen, vulgo: Schall, ein zusammengesetztes Signal formt, welches vom Gehirn als Ton dekodiert wird. Zuccarellis Dummy Head arbeitet angeblich nach demselben Prinzip und ließ damals sogar gestandene Toningenieure von einer ungleich besseren Reproduktion als beim konventionellen Kunstkopf-Stereo der 70er-Jahre sprechen. Doch ist dem tatsächlich so? Auf dem Beiblatt zu einer amerikanischen Promo-Ausgabe von The Final Cut findet sich der überraschende Hinweis, dass die Technik noch nicht ausgereift sei. Wörtlich ist von „experimental stages“ die Rede. Die britische CBS brachte kurz nach The Final Cut eine LP von Zuccarelli (Holophonics, CBS TA 3278) auf den Markt, die keinerlei Musik, sondern ausschließlich entsprechende Effekte beinhaltet. Haben wir es nun in beiden Fällen wahrhaftig mit hochklassiger 3-D-Wiedergabe zu tun? Wohlgemerkt: auf Kopfhörern, auch wenn manche Websites allen Ernstes postulieren, dass das Ganze ebenso über Lautsprecher funktioniert, was völliger Quatsch ist. Kurz und bündig: Holophonics klingen in der Tat besser als alte Kunstkopf-Aufnahmen und können allem Anschein nach eine viel höhere Dynamik tadellos reproduzieren. Spätestens die Bombenexplosion auf „Get Your Filthy Hands Off My Desert“ zeigt dies deutlich. Auch andere mit dem Verfahren eingespielte, wesentlich leisere Stellen auf The Final Cut weisen einen erstaunlichen Realismus auf. Aber: Echte Dreidimensionalität möchte ich den fraglichen Passagen bei beiden LPs nicht attestieren. Hier und da kann man sich vielleicht einbilden, dass es auch ein Vorne und Hinten gibt. Von oben und unten zu sprechen, wäre jedoch definitiv mehr als vermessen. Nebenbei: Für Zuccarellis Theorie zur „Arbeitsweise“ des menschlichen Ohres liegen bis heute keine empirischen Beweise vor.

Bleibt wie üblich noch zu klären, ob es besonders empfehlenswerte Ausgaben gibt. Mein Ergebnis nach intensiven Hörvergleichen lautet: Zumindest bei den CDs ist mir keine Einzige untergekommen, die nicht ausgesprochen gut klingen würde. Lediglich bei zweien behagt mir etwas nicht wirklich: Auf der hochgelobten japanischen Erstpressung (CBS / Sony 35DP 53) fehlen für meinen Geschmack an verschiedenen Punkten die finalen Höhen, vorzugsweise bei den Sibilanten von Roger Waters‘ Gesang. Diese angeblich rare Ausgabe klingt insgesamt in keinster Weise (noch) audiophiler als andere und ist auch deswegen die horrenden Preise nicht wert, die verlangt werden. ­Typischer Fall von losgelassenem Hype in einschlägigen Internet-Foren. So oder so: Für tonal gravierender halte ich die eingebremste Dynamik des 2011er Reissues (in USA: Capitol 50999 028956 2 8). Auffälligstes Beispiel: Wenn bei „The Post War Dream“ der volle Einsatz kommt, wird die Musik nicht in dem Maße lauter, wie sie es eigentlich müsste. Das liegt daran, dass der Pegel des verhaltenen Intros viel zu sehr angehoben wurde. Mir selbst sind ja immer CDs am sympathischsten, deren EAC Track Peak Levels nicht gnadenlos am Limit kleben und auf denen vor allem zwingend leise Passagen auch wirklich leise sind. Allein deshalb ziehe ich alle alten digitalen Ausgaben dieser Wiederveröffentlichung vor.

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Im Gegensatz zu unzähligen Alben anderer ­Interpreten höre ich die Klassiker von Pink Floyd meistens lieber als CD beziehungsweise SACD. Spätes­tens bei „Echoes“ oder den ersten Minuten von „Shine On You Crazy Diamond“ ist jedes noch so geringfügige Störgeräusch in der LP-Rille tödlich. Außerdem sind nicht wenige Silberlinge (und auch Goldlinge) der Band klanglich schlicht hervorragend. Wie eben angedeutet, gehören die meisten The Final Cut-CDs dazu. Mein persönlicher Favorit: die amerikanische (CBS oder Columbia CK 38243) ab der zweiten Auflage von 1985 (die erste von 1983 ist identisch mit der japanischen 35DP 53), deren Mastering für alle US-Pressungen bis einschließlich 1994 verwendet wurde. Top-Sound für wenig Geld. Hat sich aber anscheinend noch nicht herumgesprochen. Kleine Randnotiz: Die Spielzeit liegt je nach Herkunftsland der alten ­Discs (ohne „When The Tigers Broke Free“) zwischen 43:12 und 43:31 (!). Folglich lief nicht über­all das Band beim Mastern gleich schnell.

Beim Vinyl nehmen sich die klanglichen Unterschiede geringfügig größer aus. Interessant ist, dass die japanische Mastersound-LP (CBS / Sony 30AP 2534) sich absolut genauso wie das oben erwähnte digitale Frühchen aus Nippon anhört. Die US-Auflagen sind ebenfalls klasse, werden aber von der deutschen Pressung (EMI / Harvest 1C 064-65 042) knapp getoppt. Sie ist zusammen mit der britischen Erstausgabe (EMI / Harvest SHPF 1983, mit A-1U und B-2U in den Auslaufrillen) die beste mir bekannte Schwarzgold-The Final Cut. Bei der LP aus dem Vereinigten Königreich fällt auf, dass vorrangig die letzten beiden Stücke auf der A-Seite nicht nur eine leicht breitere Bühne aufweisen, sondern etwas lauter sind als bei der hiesigen Ausgabe. Ich muss darum noch mal kurz ins Detail gehen: Da die drei zuletzt genannten Pressungen allesamt von Doug Sax und Kollegen mithilfe von Röhrenverstärkern (!) bei The Mastering Lab (TML) gemastert wurden, sollte man meinen, dass sie auch einen vollkommen identischen Pegel haben. Des Rätsels Lösung, warum das nicht so ist: Die Auslaufrillen verraten, dass bei The Final Cut mehrere Schneidemaschinen, für die die Buchstaben M, S oder X stehen, parallel zum Einsatz kamen – und die wurden von Menschen bedient, nicht von programmierten Computern gesteuert. Konkretes Exempel: TML-M („Master“) lief im Falle von Seite eins der deutschen LP, TML-S („Slave“) schnitt die britische, deren einziger Malus, sofern der Begriff an dieser Stelle überhaupt zutrifft, ein paar unschärfere Sibilanten sind. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass eine mir vorliegende englische The Final Cut-Kaufkassette (EMI / Harvest tc-shpf 1983) sich äußerst bescheiden anhört. Hier wurde einfachstes Ferroband verwendet und vermutlich mit extrem hoher Geschwindigkeit kopiert. Kein Vergleich etwa zum holländischem Äquivalent von Jean Michel Jarres Waiting For Cousteau (siehe image hifi 6/2015).

Last not least: Das Album hat durchaus ein paar große musikalische Momente und glänzt mit einer beeindruckenden Produktion, bei der nichts dem Zufall überlassen wurde. Selbst die zu Beginn auf der rechten Seite vorbeifahrenden Pkws und die Einspielungen aus dem Autoradio, die im ersten Moment wie ein blasser Abklatsch aus „Wish You Were Here“ wirken können, sind wohlkalkuliert und nachgerade notwendig. Der Grund für ihre Verwendung erschließt sich beim Anschauen der Video-EP.

Vielleicht ist es bezeichnend, dass Roger Waters höchstselbst nach Jahren davon sprach, dass er die zahlreichen unerwarteten „Ausbrüche“ auf The Final Cut (wie etwa bei „Your Possible Pasts“) nicht mehr in dieser Häufigkeit einsetzen würde. Man kann sich unschwer vorstellen, wie viel zusätzlichen Fluss das der Musik gegeben hätte. Was jedoch am offensichtlichsten fehlt, ist das mehrfarbige melodische Gütesiegel von David Gilmour vor allem als Gitarrist in Einheit mit der vollen Bandbreite der Tastenarbeit von Richard Wright. Möglicherweise meinte Gilmour 1983 im „Sounds – Guitar Heroes“ Magazin deswegen, das Album sei „very very good, but it’s not personally how I would see a Pink Floyd record going.“ Durchgängig sehr gut ist das Album beim besten Willen nicht. Aber da ist ja auch stets noch der Sound der ganzen Angelegenheit. Und der ist und bleibt in seiner Gesamtheit über jeden Zweifel erhaben.